Helen Ergeç

Der weibliche Zyklus – ein Gespräch mit Frauengesundheitsexpertin Helen Ergeç

Von Sophia Kuehl

Helen Ergeç

Helen Ergeç wohnt in der Nähe von Köln und ist unter anderem Psychologin, Yogalehrerin, Autorin und Mutter. Sie arbeitet mit Frauen rund ums Thema ganzheitliche Frauengesundheit, insbesondere auch im Hinblick auf dysfunktionale Beziehungen zum Essen und zum eigenen Körper sowie weiblicher Zyklus, Fruchtbarkeit und Schwangerschaft.

In unserem Interview sprechen wir mit Helen über Gründe von Zyklusproblemen in der heutigen Zeit, die verschieden Zyklusphasen und was wir von ihnen lernen können und was unsere Verbindung zur Natur mit Weiblichkeit zu tun hat. 

 

Weiblicher Zyklus und Menstruation als Trendthema – immer mehr Frauen fangen damit an, sich mit ihrer Menstruation und den verschiedenen Phasen ihres Zyklus auseinanderzusetzen. Gleichzeitig leiden immer Frauen unter Zyklusstörungen, wie PMS, Krämpfen, ausbleibender Periode etc. Was sind deine Gedanken dazu?


Ich denke, das eine hängt mit dem anderen eng zusammen. Gerade WEIL immer mehr Frauen unter Zyklusstörungen leiden, beschäftigen sie sich intensiver mit ihrem Zyklus und ihrer Weiblichkeit. In der Welt in der wir leben ist häufig wenig Raum für Weiblichkeit und zyklisches Leben in Einklang mit der Natur. Wir leben in sehr schnelllebigen Zeiten, von allen Seiten werden Erwartungen an uns herangetragen, wie wir zu sein, auszusehen, zu leben, was wir zu leisten haben. Das ist wahnsinnig viel. Und das macht auf die Dauer Stress, wenn wir nicht sehr achtsam und bewusst damit umgehen. Und uns von den Erwartungen im Außen bewusst distanzieren und bei uns und unseren Bedürfnissen bleiben. Diesen Raum für uns können wir uns aber bewusst wieder nehmen. Und dann ist das eine Chance, sich selbst und den eigenen Körper besser kennenzulernen. Zyklusstörungen sind so auch ein Angebot, eine Einladung unserer Körper, uns intensiver damit auseinanderzusetzen, was wir eigentlich brauchen, was uns guttut, wer wir sind und wie wir leben wollen. Der Zyklus ist sozusagen ein Barometer dafür, ob wir in Balance sind.

 

Als Expertin für Frauengesundheit begleitest du viele Frauen bei Beschwerden rund um den Zyklus, Hypothalamischer Amenorrhö (Ausbleiben der Menstruation), aber auch bei Kinderwunsch und Unfruchtbarkeit. Was sind deiner Erfahrung nach, die häufigsten Themen und Probleme, die viele Frauen heutzutage teilen?


Meiner Meinung nach ist das größte Problem, dass die meisten von uns sich von sich selbst entfremdet haben. Wir vertrauen unseren Körpern, unseren körperlichen Signalen und Bedürfnissen nicht mehr, sondern suchen die Wahrheit im Außen. Das führt zu großen Unsicherheiten, weil es mittlerweile so viele verschiedene Ansätze und Theorien dazu gibt, was „gesund“ und „richtig“ für den Körper sein soll, dass man gar nicht mehr weiß, was man glauben soll. Der Versuch, in diesem Chaos einen funktionierenden Umgang mit sich selbst zu finden, führt dann häufig zu noch mehr Entfremdung von sich selbst. Körperliche Signale werden dann im Zweifelsfall fehlgedeutet. Manchmal entstehen aber auch Effekte im Sinne von selbsterfüllenden Prophezeiungen. Wenn ich denke, dass etwas (z.B. ein bestimmtes Nahrungsmittel) nicht „gut“ (für mich) ist, dann werde ich mich danach natürlich nicht gut fühlen. Umgekehrt ist es genauso: Wenn ich mich etwas mit einem guten Gefühl tue oder zu mir nehme, dann tut es mir auch gut. Unserer Gedanken leiten unsere muskulären Aktivitäten, unser Immunsystem, unseren gesamten Körper an. Ich denke, wir müssen alle wieder mehr ins Fühlen kommen. Weniger kognitiv und im Außen nach Lösungen und Antworten suchen und mehr nach innen schauen. Die meisten Zyklusstörungen haben ihren Ursprung in Stress. Die Frage, wo der Stress herkommt und was die Person braucht, um sich wohlzufühlen und authentisch sie selbst zu sein, kann nur beantwortet werden, wenn wir uns ehrlich mit uns selbst auseinandersetzen und lernen, unserer inneren Stimme wieder zu vertrauen.

 

"Zyklusstörungen sind so auch ein Angebot, eine Einladung unserer Körper, uns intensiver damit auseinanderzusetzen, was wir eigentlich brauchen, was uns guttut, wer wir sind und wie wir leben wollen. Der Zyklus ist sozusagen ein Barometer dafür, ob wir in Balance sind."

 

In deinem kürzlich erschienenen Buch „Cycle of Life“ geht es um die Phasen des weiblichen Zyklus. Könntest du uns in Kürze durch diese verschiedenen Phasen führen?


Der zeitliche Ablauf eines gesunden, normalen weiblichen Zyklus hängt von vier wichtigen Phasen in den Eierstöcken ab. Die erste ist die Follikelphase und dauert ungefähr zwei Wochen, kann aber auch kürzer oder wesentlich länger sein. Darauf folgen der Eisprung, der ungefähr einen Tag in Anspruch nimmt, und die sich anschließende Lutealphase, die ziemlich genau 14 Tage andauert. Den Abschluss des Zyklus bildet die Ischämiephase, welche die Menstruationsblutung auslöst und nur wenige Stunden andauert.
Bei erwachsenen Menstruierenden ergibt sich also eine Gesamtdauer von ungefähr 25 bis 35 Tagen. Um die Länge deines Zyklus zu bestimmen, zählst du ab dem ersten Tag deiner Menstruation bis zum Beginn des nächsten Zyklus.

 

"Nicht einfach blind Routinen, Regeln und Erwartungen zu entsprechen, sondern immer wieder achtsam mit uns selbst umzugehen und wahrzunehmen, was wir in dem Moment brauchen. Und anzunehmen, dass 1. jeder Tag anders ist und 2. das ok und sogar gut so ist."

 

Ein großer Teil deiner Arbeit besteht darin, zu vermitteln, wie wir über die Nahrung gut für uns sorgen können. Was ist dir in diesem Zusammenhang besonders wichtig?


Das Thema Ernährung gehe ich immer aus der Perspektive an, was uns NÄHRT. Das bedeutet, es geht mir weniger darum, WAS genau wir essen und vielmehr darum, WIE wir essen. Ob wir auf unseren Körper hören, genießen können. Uns mit dem versorgen, wonach unsere Körper verlangen. Auch da geht es vor allem darum, wieder in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Sensibler und feiner zu werden, wahrzunehmen, das und auf was wir Hunger haben und dementsprechend zu reagieren. Weniger zu bewerten, mehr zu fühlen und uns dementsprechend zu versorgen. Das hört sich erstmal sehr abstrakt an und oft schaue ich mit Frauen dann schon gemeinsam darauf, wie die Ernährung konkret aussieht und gebe Tipps. Denn manchmal sind wir so weit von uns entfernt, dass das Spüren und das intuitive Essen zur Überforderung und Überlastung werden. Aber auch dann sind es eher allgemeinere Empfehlungen, wie z. B. dass warme Mahlzeiten uns erden, während Rohkost uns eher unruhig machen kann, die die Person dann in ihre Leben integrieren kann. Ich möchte nicht meine Wahrheiten weitergeben, sondern andere dabei unterstützen, wieder in Kontakt mit ihrem inneren Wissen zu kommen. Im Englischen sagt man das so schön: „own it“ – Ich möchte Frauen unterstützen, sich selbstbestimmt, selbstbewusst, sicher und zuhause in ihren Körpern zu fühlen.

 

Hast du noch weitere Tipps, über das Essen hinaus, wie wir gut für uns sorgen können?


Letztlich geht es immer darum, darauf zu achten, wie wir uns fühlen. Nicht einfach blind Routinen, Regeln und Erwartungen zu entsprechen, sondern immer wieder achtsam mit uns selbst umzugehen und wahrzunehmen, was wir in dem Moment brauchen. Und anzunehmen, dass 1. jeder Tag anders ist und 2. das ok und sogar gut so ist. Um den Eisprung herum haben wir vielleicht mehr Energie, die wir dann entsprechend auch nutzen können, während bzw. vor der Menstruation ist uns vielleicht mehr nach Ruhe und Rückzug. Wenn wir anfangen, darauf zu hören und unser Leben daran anzupassen, ist das die beste Form von Selbstfürsorge und trägt langfristig zu unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden bei.

 

Du sagst selbst, dass die Verbindung zur Natur dir in deiner Arbeit besonders wichtig ist. Was macht eine Verbindung zur Natur für dich aus und wie kultiviert du diese Verbindung in deinem Alltag?


Momentan leben wir in einem Haus mit großem Garten und Wald, der quasi direkt hinter dem Garten beginnt. Ich bin, wenn es das Wetter zulässt, so viel wie möglich mit meinem Sohn draußen. Durch ihn entdecke ich die Natur auch noch einmal neu. Er hat eine andere Perspektive, sieht Dinge, die ich gar nicht (mehr) wahrnehmen würde. Dann beobachten wir Ameisen, schauen uns Blätter an, pflücken Kräuter. Ansonsten finde ich auch viel Verbindung über Nahrung. Ich liebe es zu kochen, Nahrungsmittel und Zutaten wertzuschätzen und daraus etwas Leckeres zu machen, das mir guttut und mich nährt. So bin ich verbunden mit der Natur um mich herum und mit den Bedürfnissen meines Körpers.

 

Helen Ergeç Zykluswissen

 

  

Da wir gern wissen wollten, wie Helen Selbstfürsorge in ihren eigenen Alltag integriert, haben wir ihr noch ein paar persönliche Fragen gestellt.

 

Welche Rituale begleiten dich durch den Tag?

Ich liebe Rituale und Routinen. Sie geben mir ein Gefühl von Ruhe und Stabilität im Alltag. Besonders mit kleinem Kind verändert sich sowieso alles ständig und ich bin oft fremdbestimmt. Da helfen mir meine täglichen Rituale, bei mir zu bleiben bzw. immer wieder zu mir zurückzufinden. Ich stehe morgens früh auf, meist gegen halb 6. Dann schlafen mein Sohn und mein Mann noch und ich habe etwas Zeit für mich. Meinen Morgen beginne ich dann mit einem großen Glas warmem Zitronenwasser, dann mache ich mich fertig und nehme mir im Anschluss Zeit für meine Praxis – meist eine Kombination von Yoga Asana Praxis und Meditation. Je nachdem wie lang mein Sohn schläft, fällt das dann länger oder kürzer aus. Im Anschluss frühstücken wir gemeinsam.
Abends versuche ich Yoga Nidra zu üben, während mein Mann unseren Sohn bettfertig macht. Im Anschluss lege ich ihn schlafen – das habe ich seit seiner Geburt bisher jeden Abend gemacht und ist ein wichtiges Ritual unseres Tagesablaufs. Ich mache uns eine Duftlampe an, schöne Musik, eine Kerze. Das ist dann auch für mich Entspannung (zumindest an den meisten Abenden, wenn mein Sohn dann auch gut einschläft). Mein Mann und ich machen außerdem jeden Abend gemeinsam eine Dankbarkeitsübung: Wir sagen uns vor dem Abendessen die Dinge, für die wir am Tag dankbar sind. Das tut auch immer gut.

 

Wie und wo findest du am besten Ruhe?

Wie – Durch meine Praxis: Yoga, Meditation, Atmung.
Wo – Tatsächlich am einfachsten in der Natur. Im Garten, im Wald, am Meer.

Welches Mittagessen geht immer bei dir?

Ich liebe Essen aus Schüsseln. Fast alle meine Mahlzeiten sind eine Form von Bowl, also eine Kombination von verschiedenen Komponenten. Ich habe oft eine Auswahl im Kühlschrank – z.B. momentan marinierte Rote Bete, fermentierter Spargel, Sauerkraut, selbstgezogene Sprossen und ein Brennnesseldressing. Das variiere ich saisonal und je nachdem, worauf ich Lust habe. Dann ist eine Mahlzeit schnell zusammengestellt. Eine Basis (z.B. Reis), frisches Gemüse, eine Proteinquelle und alle möglichen Toppings – fertig ist die Mahlzeit.

 

Wofür bist du gerade besonders dankbar?

Ich bin gerade für vieles dankbar. Für meinen Sohn und meinen Mann, dafür, dass es uns gut geht. Ich bin auch sehr dankbar, dass es beruflich so gut läuft. Ich fühle mich und meine Arbeit momentan sehr wertgeschätzt und das ist schön. Ich bekomme gerade viele Zeichen, dass ich damit auf dem für mich richtigen Weg bin. Ich bin dankbar, mit Frauen arbeiten zu können und weitergeben zu dürfen, was ich gelernt habe und was mir guttut.
 

Hier erfahrt ihr mehr über Helen's Arbeit. Ihr Buch "Cycle of Life" ist 2022 im Windpferd Verlag erschienen. Ihr könnt es über ihre Website bestellen oder im gut sortierten Handel kaufen. 

 

Cycle of Life

 

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